Den Übergang in den Flow schaffen
Der Zustand, wenn du die Welt um dich vergisst und deine Gedanken nicht mehr bewusst wahrnimmst, ist einfach toll. Du hast einfach mal zwei Stunden nicht auf dein Handy geschaut, dummerweise vergisst die Suppe auf dem Herd, dein spielendes Kind nebenan, dein anstehendes Telefonat, dass du Hunger hast, dir eigentlich erstmal was anziehen solltest und aufs Klo musst, aber du vergisst auch deine Sorgen. Du bist im Hier und Jetzt und dabei wird dein Kopf frei. Die Kopfautobahn rauscht staufrei. Du bist zufrieden.
Vorher fühlt es sich allerdings oft an, als sei da eine Barriere, die es zu durchbrechen gilt, um den Flow zu erreichen. Man muss irgendwie Energie aufwenden, um über die Barriere hinweg zu kommen. Als liege der Fluss hinter einer hohen Düne und du musst dich aufraffen oder schon motiviert sein.
Es gibt Tage, an denen schaffe ich es nicht so recht in den Flow. Da höre ich jedes noch so leise Geräusch, lasse es an mein Bewusstsein und es hindert mich daran, mich nach innen zu kehren. Oder ich mache mir Gedanken über Probleme mit einer nahestehenden Person und schaffe nicht den Sprung aus dem Gedankenkarussell. Oder aber ich kann mich einfach nicht auf die Tätigkeit einlassen, bei der ich in den Flow kommen kann, z. B wenn ich keine Lust aufs Gemüseschnippeln oder auf den PC bzw. das Schreiben habe. Manchmal fühlt man sich auch einfach schwach und müde und der Flow würde einen erst recht einschlafen lassen.
Aber wenn ich ausgeschlafen bin und keinen Druck habe, kommen mir meistens irgendwelche Ideen. Am einfachsten ist es beim morgendlichen Lauf. Da merke ich garnicht, dass ich denke. Die Gedankenautobahn ist absolut frei und flexibel. Ich merke erst, wenn ich zurück bin, dass all meine Probleme gelöst sind und kann mich an die Hälfte der Strecke nicht mehr erinnern – nicht, wie ich die große Kreuzung überquert habe und wieviel Schnee auf dem Acker lag, an dem ich immer vorbeikomme.
Wichtig ist es, einen Raum zu schaffen, in dem ich relativ abgeschirmt bin und mich wohl fühle, z. B. wenn ich alle morgendlichen Aufgaben erledigt, meinen Kaffee geschnappt und auch nach dem Lauf und der Dusche – vor allem der kalten (die sorgt definitiv für einen freien Kopf) – ein entspanntes Körpergefühl habe. Wenn ich dann mit meiner Tätigkeit beginne (Schreiben, Werkeln, Schnippeln, Planen oder was auch immer), versinke ich in der Welt, die sich in meinem Kopf bildet. Und wenn es keine Gelegenheit zur körperlichen Entspannung gab und ich den Sprung in den Flow aktiv antreiben muss, hilft in der Regel meine Lieblingsmusik, denn die ist positiv und voller Energie.
Nun ist da dieser Schutzschirm zwischen der lebendigen Außenwelt und meinem Bewusstsein.
Einen Schutz vor Überlastung einbauen
Diesen Zustand, sprich dass ich mich nicht losreißen kann, obwohl ich merke, dass ich mich überlaste, habe ich täglich mehrmals und er fordert seinen Tribut. Ab nachmittags bin ich komplett durch, Konzentration ist dann kaum mehr möglich, alles geistige ist anstrengend. Dann wundere ich mich immer, wie der Durchschnittsmensch es schafft, jeden Tag 8 Stunden einer anstrengenden Arbeit nachzugehen und das mit nur 2 Pausen. Und dann erinnere ich mich, dass es da wohl den entscheidenden Unterschied gibt: „Die Anderen“ fahren relativ gleichmäßig mit vielleicht 80% ihrer Leistung, sind entspannt, für kleine Ablenkungen offen. Da ist Raum für Schwankungen und das Getriebe wird nicht überhitzt. Bei mir ist das anders. Mein System läuft bei 100% (bildlich gesprochen, denn ein 100%-Gehirn kann es nicht geben, das menschliche Gehirn läuft bei einer Kapazität von rund 10%), ohne dass ich das beeinflussen kann. Ich bin tief versunken, hoch konzentriert, habe Angst, jemand oder etwas könnte mich unterbrechen. Ich vergesse, regelmäßig und tief zu atmen und zu blinzeln. Ich muss nun von außen aus meinem Tresor geholt werden, damit es nicht zur Verstärkung der Beschwerden (bis hin zur Migräne) kommt. Mein Schutz vor Überlastung besteht aus meinem Sohn, der zwar schon erwachsen ist, aber bei mir wohnt, weil er als Autist permanent Unterstützung in Form von Aufmerksamkeit, Entscheidungshilfe, Gedankensortierung und Gesellschaft braucht. Er kommt dann so einmal die Stunde aus seinem Zimmer und wartet darauf, dass ich zu ihm komme. Jedes Mal höre ich das, werde nervös und meine Gedanken driften zu ihm. Mein Mitgefühl sorgt dann dafür, dass ich mich aus meiner Arbeit ziehe, mit ihm spreche und dann mit ihm in sein Zimmer gehe. Anfänglich bin ich dann immer nervös und etwas missmutig, aber dann fällt mir wieder ein, dass ich ja eigentlich sowieso eine Pause gebraucht hätte und ihm sehr dankbar bin. So einen Pausenhelfer hat sicherlich nicht jeder, aber notfalls muss man sich den Handywecker einstellen. Schon allein der Blick durchs Fenster nach draußen ist wichtig für die Augen.
Die Ideenschleife oder wenn der Flow zur kreativen Euphorie wird
Gerade beim Joggen passiert es mir immer wieder, dass ich mich plötzlich dabei erwische, wie ich im Kopf – ohne es reflektiert zu haben – Diskussionen führe, Geschichten erzähle, Erfahrungen aufzähle, also extrem kreativ bin. Dabei habe ich manchmal auch ganz weitreichende Ideen. Wenn ich dann merke, dass ich gerade eine Idee entwickelt hab, die mir sehr hilft, freue ich mich so sehr, dass mein Kopf durch den Dopamin- oder Serotonin-Schub plötzlich noch schneller und effektiver denken kann. Dann sprudelt es Ideen und das wiederum führt zu einer Euphorie, die mich kurzzeitig „high“ werden lässt. Dann kommt allerdings die Phase, in der ich mir sorgen mache, das alles wieder zu vergessen, bevor ich es aufschreiben kann. Zuerst muss geduscht werden, dann mit meinem Sohn gefrühstückt. Ich versuche mir zwischendurch das wichtigste zu notieren. Manchmal schaffe ich es noch bei meinem Lauf, mir Eselsbrücken für die wichtigsten Erkenntnisse oder Gedanken einfallen zu lassen, um sie später einfacher abrufen zu können. Aber darin bin ich nicht so gut.
Während ich am Laptop sitze, ist es einfacher, viele Gedanken festzuhalten und außerdem entwickeln sie sich geordneter, eher linear. Hier bin ich mir selbst immer wieder dankbar, dass meine erste Aktion nach der Schulzeit nicht nur der Führerschein, sondern ein selbst finanzierter 10-Finger-Schreibmaschinenkurs war. Ohne die Fähigkeit, (fast) so schnell schreiben zu können, wie ich denke und auch blind Fehler zu korrigieren, würden meine Gedanken ständig stolpern. Aber auf diese Weise klappt das mit dem Flow hervorragend.
Bis vor kurzem war ich als Web-Entwicklerin selbständig und habe viel und gerne programmiert, Datenbanken gefüllt und administriert. Ich habe eigene und Kundenprojekte parallel bearbeitet, hatte immer neue Umsetzungsideen zu Funktionen, Nutzerführung und Optik. Da hat man manchmal 5 Abläufe parallel im Kopf. Man hat eine Idee für Content-Struktur, gleichzeitig eine für passende Grafiken und wie man diese erstellen könnte, wie man den Content über Datenbankdaten nach bestimmten Algorithmen zusammenstellen könnte und was man an Formatierungen benötigt. All das passiert parallel und eine Unterbrechung könnte bedeuten, dass nicht mehr alles miteinander verknüpft bleibt, sondern zerfällt. Deshalb bin ich während der Arbeit so angespannt und schalte grundsätzlich mein Handy ab. Es läuft auch kein Radio. Und ich sitze glücklicherweise allein Zuhause, niemand kann mich stören.
Erst wenn der Veröffentlichen-Button gedrückt ist, kann ich wieder entspannen. Das mache ich zum Beispiel jetzt…